Direkt zum Inhalt springen

Öffentliches Beschaffungswesen

Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Vorgaben des öffentlichen Beschaffungswesens zu beachten. Das bedeutet insbesondere, dass öffentliche Aufträge je nach Auftragswert in bestimmten Verfahren vergeben werden müssen. So muss zum Beispiel eine Gemeinde einen Auftrag im Bauhauptgewerbe mit einem Auftragswert über Fr. 500'000 im offenen Verfahren ausschreiben.

Die kantonale Fachstelle öffentliche Beschaffungswesen berät kantonale Amtsstellen, Gemeinden, Schulgemeinden und Private. Unterstützung bietet auch der Leitfaden für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen [pdf, 481 KB].

Seit dem 1. April 2022 gilt im Kanton Thurgau das neue Vergaberecht. Bund, Kantone, Städte und Gemeinden erarbeiten den gemeinsamen Beschaffungsleitfaden TRIAS, der die Beschaffungsstellen bei der Umsetzung des neuen Vergaberechts unterstützt. Zu wichtigen neuen Themen gibt es bereits Faktenblätter. Mehr dazu unter https://www.bpuk.ch/bpuk/konkordate/ivoeb/trias.

 

Aktuell: Vergabeverbot an russische Anbieter

Der Bundesrat hat die Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine (SR 946.231.176.72) angepasst. Seit dem 31. August 2022, 18:00 Uhr ist es Auftraggeberinnen im Staatsvertragsbereich verboten, öffentliche Aufträge an russische Staatsangehörige und Unternehmen sowie an andere natürliche und juristische Personen in Russland zu vergeben. Das Verbot gilt ebenfalls für Beschaffungsverträge und für juristische Personen, die sich im Mehrheitsbesitz der vorgängig genannten Personen oder im Namen oder auf Anweisung dieser handeln. Des Weiteren gelten die Verbote auch für Subunternehmen und Lieferanten, die mit mehr als 10 % des Auftragswert am Auftrag beteiligt sind.

Ausgenommen von den Verboten sind hingegen russische Staatsangehörige, die in der Schweiz ansässig sind und Schweizer Unternehmen, die bereits vor dem 31. August 2022 in der Schweiz niedergelassen waren und spätestens zu jenem Zeitpunkt im Mehrheitsbesitz von oben genannten Personen waren.

Den genauen Geltungsbereich finden Sie in Art. 29c der Verordnung. 

Das SECO hat ein Selbstdeklarationsformular entworfen, welches bei Vergaben im Staatsvertragsbereich von den Anbieterinnen und Anbietern zu verlangen ist. Das entsprechende Selbstdeklarationsformular finden Sie hier [pdf, 330 KB]. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des SECO.
 

Für Auftraggeber

Welche Regeln müssen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen beachtet werden?

Seit dem 1. April 2022 ist der Kanton Thurgau Mitglied der totalrevidierten Interkantonalen Vereinbarung vom 15. November 2019 über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB; RB 720.3) und es gelten das totalrevidierte Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (GöB; RB 720.1) und die totalrevidierte Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB; RB 720.11). Für die kantonale Verwaltung gilt zudem seit dem 1. April 2022 die neue Weisung zum öffentlichen Beschaffungswesen (WöB; RB 720.111).

Darüber hinaus gibt es Staatsverträge (GPA und Übereinkommen mit der EU), die im Staatsvertragsbereich beachtet werden müssen. 

Was hat sich mit dem Inkrafttreten des neuen Vergaberechts per 1. April 2022 geändert?

Das Inkrafttreten des neuen Vergaberechts hat für die Auftraggeber im Kanton Thurgau keine grundlegende Änderung des öffentlichen Beschaffungswesens zur Folge. Es werden aber zahlreiche Einzelheiten des Verfahrens angepasst. Besonders hervorzuheben sind:

  • zwingende Publikation der Ausschreibungen auf www.simap.ch, keine Publikation mehr im Amtsblatt;
  • Verlängerung der Beschwerdefrist von 10 Tagen auf 20 Tage;
  • das vorteilhafteste Angebot wird ermittelt, indem Qualität und Preis einer Leistung sowie je nach Leistungsgegenstand weitere gleichwertige Kriterien bewertet werden;
  • neue Zuschlagskriterien;
  • neue Instrumente (Dialog, Rahmenverträge, elektronische Auktionen);
  • Lieferungen dürfen neu bis zu einem Auftragswert von Fr. 150'000 freihändig vergeben werden (bisher Fr. 100'000);
  • Möglichkeit Sanktionen auszusprechen.

Die Kurzerläuterungen zur Totalrevision [pdf, 327 KB] helfen bei Fragen zu einzelnen Bestimmungen der Verordnung.

Achtung: Auf Vergabeverfahren, die vor dem 1. April 2022 eingeleitet wurden, kommt das alte Recht zur Anwendung.

Wo finde ich die Schwellenwerte zu den einzelnen Verfahren?

Die Schwellenwerte der einzelnen Vergabeverfahren finden Sie in den Anhängen 1 und 2 der IVöB.

Was bedeutet Staatsvertragsbereich?

Überschreitet der Auftragswert bestimmte Schwellenwerte (bspw. für Gemeinden: Gesamtwert Bauleistungen für ein Bauwerk über 8.7 Mio. Franken, Lieferungen oder Dienstleistungen über Fr. 350'000) kann es sein, dass Vorgaben aus Staatsverträgen beachtet werden müssen (WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und bilaterales Abkommen mit der EU). Zum Beispiel muss dann im offenen Verfahren eine längere Frist für die Einreichung der Angebote gewährt werden (40 Tage anstatt 20 Tage). Ob ein Auftraggeber und/oder der zu vergebende Auftrag dem Staatsvertragsbereich untersteht, muss im Einzelfall abgeklärt werden.

Müssen bei der Vergabe von Bauleistungen im Staatsvertragsbereich alle Arbeiten offen oder selektiv ausgeschrieben werden?

Grundsätzlich ja. Für kleinere Vergaben im Staatsvertragsbereich besteht aber die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Bagatellklausel. Das heisst, dass von der Totalsumme der Vergaben 20 % nach den Bestimmungen des Nicht-Staatsvertragsbereichs vergeben werden können. Der Einzelauftrag darf aber nicht höher als 2 Mio. Franken sein. 

Wann braucht es eine Unbefangenheitserklärung?

Das Vergaberecht verpflichtet die Auftraggeberin oder den Auftraggeber, Massnahmen gegen Interessenkonflikte, unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption zu treffen. Eine solche Massnahme kann sein, dass die in das Vergabeverfahren involvierten Personen (externe Berater, Mitarbeiterinnen etc.) verpflichtet werden, eine Unbefangenheitserklärung zu unterzeichnen (Vorlage [doc, 95 KB]).

Kann die Ausbildung von Lehrlingen als Zuschlagskriterium verwendet werden?

Die IVöB bezweckt nicht nur den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel, sondern auch deren sozial nachhaltigen Einsatz. Sie sieht deshalb vor, dass im von Staatsverträgen nicht erfassten Bereich ergänzend berücksichtigt werden darf, inwieweit der Anbieter Ausbildungsplätze für Lernende in der beruflichen Grundbildung, Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmende oder eine Wiedereingliederung für Langzeitarbeitslose anbietet.

Können Abgebotsrunden durchgeführt werden?

Verhandlungen über Preise, Preisnachlässe und Änderungen des Leistungsinhaltes sind nur im freihändigen Verfahren zulässig.

Muss die Gewichtung der Zuschlagskriterien in den Unterlagen aufgeführt werden? 

Die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung müssen in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen bekannt gegeben werden.

Wann kommt die Preisniveauklausel zur Anwendung?

Im Kanton Thurgau kann zusätzlich zu den Zuschlagskriterien der IVöB unter Beachtung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz das Kriterium "Unterschiedliche Preisniveaus in den Ländern, in welchen die Leistung erbracht wird" berücksichtigt werden (sog. "Preisniveauklausel"). Ob im Rahmen einer konkreten Beschaffung die Anwendung der Preisniveauklausel sinnvoll und zielführend ist, müssen die Auftraggeberinnen und Auftraggeber im Einzelfall abklären.

Was kann ich tun, um das einheimische Gewerbe zu fördern?

Das neue Vergaberecht begünstigt die angemessene Gewichtung von Qualitätskriterien sowie die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten und Innovation, was tendenziell Anbietern in der Schweiz und im Kanton Thurgau zugutekommt. Fördern Sie den Qualitätswettbewerb. Grössere Aufträge können in mehrere Lose aufgeteilt werden, um KMU den Markteintritt zu erleichtern (Achtung: Keine Salamitaktik). Lassen Sie bei grossen Aufträgen Bietergemeinschaften oder den Beizug von Subunternehmen zu. Prüfen Sie bei Aufträgen, die Sie im freihändigen Verfahren oder im Einladungsverfahren vergeben dürfen, ob es lokale Unternehmen gibt, die die gesuchten Leistungen anbieten können.

Für Anbieter

Wie komme ich zu einem öffentlichen Auftrag?

Der Kurzfilm des Bundesamts für Bauten und Logistik BBL gibt eine kurze Einführung für Anbieter.

Was sind Teilnahmebedingungen, Eignungskriterien und Zuschlagskriterien?

Die Teilnahmebedingungen sind die Grundvoraussetzungen, welche die Anbieter erfüllen müssen (z.B. Bezahlung der fälligen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge oder Aufnahme in die Ständige Liste).

Über die Eignungskriterien können Anforderungen an die fachliche, finanzielle, wirtschaftliche, technische oder organisatorische Leistungsfähigkeit oder an die Erfahrung der Anbieter festgelegt werden.

Die Angebote der geeigneten Anbieter werden dann anhand der Zuschlagskriterien (Preis, Qualität und allenfalls weitere Kriterien) bewertet. 

Muss ich die ganzen Formalitäten beachten (z.B. rechtzeitige Abgabe des Angebots)?

Ja, das ist sehr wichtig. Angebote und Anträge auf Teilnahme müssen schriftlich, voll-ständig und fristgerecht gemäss den Angaben in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen eingereicht werden. Andernfalls droht der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren.

Warum habe ich den Auftrag nicht erhalten, ich habe doch das billigste Angebot eingereicht?

Die Angebote werden anhand der Zuschlagskriterien bewertet. Der Preis ist nur ein Teil davon. Das vorteilhafteste Angebot erhält den Zuschlag.

Ich zahle in meiner Gemeinde Steuern. Habe ich deshalb Anspruch auf Aufträge, die von meiner Gemeinde vergeben werden?

Nein. Die Gemeinde muss bei der Vergabe ihrer Aufträge den Grundsatz der Gleichbe-handlung der Anbieter beachten. Das vorteilhafteste Angebot erhält den Zuschlag.

Ich habe enge persönliche Kontakte zu einem Mitglied der Vergabestelle – kann ich mir das im Vergabeverfahren zunutze machen?

Nein, das birgt grosse Gefahren und kann sogar strafrechtlich relevant sein. Vergabeverfahren müssen transparent, objektiv und unparteiisch durchgeführt werden. Das betreffende Mitglied der Vergabestelle muss gegebenenfalls in den Ausstand treten.